Werden auch Sie Bankier* und somit Teil dieser starken Gemeinschaft.
„Wir kultivieren vor allem auch Gemeinschaft.“
Sebastian Schiller und seine rund 150 Rebstock-Patinnen und -Paten bewegen eine ganze Menge. Gemeinsam bewirtschaften sie die Weinberge der Vintage Winery in Stuttgart-Rohracker.
Winzer Sebastian Schiller gründete vor 10 Jahren die Vintage Winery in Stuttgart-Rohracker über eine Crowdfunding-Kampagne – eine damals im traditionellen Weinbau ungewöhnliche Form der Existenzgründung. Bei Sebastian Schiller spendeten die Anleger nicht nur Geld, sie halfen gleich mit bei der Bepflanzung. Was den Anbau selbst angeht, verlässt der Weinbauer sich eher auf traditionell-nachhaltige Methoden. Er und seine Rebstock-Paten bewirtschaften die Weinberge im Einklang mit der Natur.
Herr Schiller, Sie sind Winzer in der vierten Generation. War es mehr Wunsch oder mehr Pflichtgefühl, in die Fußstapfen des Vaters und des Großvaters zu treten?
Mehr Wunsch! In der Tat sind die Weinberge, die ich bewirtschafte, größtenteils aus der Familie. Schon mein Urgroßvater war Weinbauer, allerdings im Nebenerwerb. Ebenso mein Vater und Großvater. Die Landwirtschaft war praktisch ein Zubrot, um die Familie zu ernähren. Neben den Weinbergen wurden auch Obstwiesen bewirtschaftet, zudem gab es eine kleine Tierhaltung. Wir hatten auch einen Stand auf dem Stuttgarter Wochenmarkt, auf dem ich mitgeholfen habe. Und ich erinnere mich gut, wie ich mit meinem Großvater in den Weinbergen war.
Der Weinbau wurde Ihnen quasi in die Wiege gelegt.
Könnte man so sagen (lacht). Nach dem Abitur und dem Zivildienst bin ich ein bisschen durch die Welt getingelt. In dieser Zeit ist der Entschluss gereift, dass ich die Winzer-Ausbildung machen möchte. Im ersten Jahr bin ich im Remstal geblieben. Das zweite Jahr habe ich auf einem Weingut im Kaiserstuhl absolviert. Anschließend folgten ein weiterführendes Studium sowie verschiedene Auslandsaufenthalte, unter anderem in Südafrika und Australien.
Was hat Sie wieder in die Heimat gezogen?
Heimat ist da, wo man spürt, dass man am richtigen Ort ist. Es hat viel damit zu tun, wo man aufgewachsen ist. Ich habe in den Weinbergen und Wäldern rund um Rohracker meine Kindheit verbracht. Ich habe eine emotionale Verbindung zu diesem Ort. Hier spüre ich die Energie der Generationen vor mir. Die kleinen Hütten, Schuppen und Trockenmauern stehen teilweise schon über 100 Jahre hier. Denn im Gegensatz zu den Weinbaugebieten in der Nachbarschaft wurde Rohracker nicht flurbereinigt. Das macht den besonderen Reiz dieser Landschaft aus. Im Ausland festigte sich der Wunsch, hierher zurückzukehren und die Familien-Weinberge weiterzuführen.
„Per Crowdfunding haben wir nicht nur das notwendige Startkapital eingeworben, wir haben zugleich mediale Aufmerksamkeit zu erzeugt.“
Sie sagten, dass Rohracker nicht flurbereinigt worden sei. Wie kam es dazu?
Rohracker sollte damals die erste Gemeinde sein, deren Weinberge zusammengelegt werden, um sie besser bewirtschaften zu können. Ein paar sture Wengerter weigerten sich jedoch. Also gingen die Gelder ins Neckartal, Remstal und nach Ober- und Untertürkheim. Als die Rohracker‘ Weinbauern mitziehen wollten, machte ihnen der Naturschutz einen Strich durch die Rechnung. So kam es, dass wir hier immer noch herumklettern wie vor 100 Jahren.
Da haben Sie sich ein schwieriges Terrain ausgesucht.
Das stimmt. Aufgrund der Steillage ist kaum maschineller Einsatz möglich. Wir müssen fast alles von Hand bewirtschaften. Aber das war Teil der Idee: den größten Nachteil in einen Vorteil umzukehren.
War das die Geburtsstunde des Crowdfunding-Weinguts?
Im Prinzip ja. Wir standen zu Beginn vor zwei Herausforderungen: die Anschubfinanzierung und die Vermarktung. Wein produzieren ist das eine, Kunden gewinnen und ihn verkaufen das andere. Mit Hilfe der Crowdfunding-Kampagne konnten wir beide Ziele erreichen.
Gemeinschaft für alle: Seit einem halben Jahr gehören auch bretonische Zwergschafe zum Team der Vintage Winery. Sie halten die Begrünung niedrig und düngen den Boden.

Es ist uns gelungen, das notwendige Startkapital einzuwerben und gleichzeitig – das war uns ebenso wichtig – mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Über 100 Menschen haben uns mit insgesamt 7.000 Euro unterstützt. So fing es an. Das war vor zehn Jahren.
Was bewegt wildfremde Menschen dazu, einem unbekannten Winzer online Geld zu geben, damit der seinen ersten Jahrgang produzieren kann?
Gründergeist und Begeisterung. Viele Menschen haben den Traum, ein Café, ein Weingut oder ein Geschäft zu gründen. Die Wenigsten tun es. Ich hatte den Eindruck, dass unsere Unterstützerinnen und Unterstützer emotional ein bisschen mitgegründet haben.
„Was einer nicht schafft, erreichen viele. In dreieinhalb Stunden waren 700 Reben gepflanzt.“
Als Anreiz hatten wir uns zudem eine Rebstock-Patenschaft ausgedacht. Rund 35 Leute haben eine solche Patenschaft übernommen. Als wir sie anschrieben und ihnen mitteilten, dass es den Patenschafts-Weinberg tatsächlich gibt und wir in drei Wochen pflanzen, standen 20 von ihnen tatsächlich auf der Matte. Nach dreieinhalb Stunden waren 700 Reben gepflanzt. An dem Tag wurde mir bewusst, dass die viel wertvollere Währung Zeit ist. Zeit und Miteinander. Heute sind es über 150 Rebstock-Patinnen und -paten, die regelmäßig in den Weinbergen mithelfen.
Im Prinzip sind Sie ähnlich gemeinschaftlich organisiert wie eine Genossenschaft. Nur im Kleinen.
Da sind durchaus Parallelen. Ich habe mich bei der Gründung zwar bewusst für die Selbstvermarktung entschieden und trete mit meinem eigenen Label auf, aber im Kern ist die Vintage Winery ein Gemeinschaftsprojekt. Über die Patenschaften sind die Menschen beteiligt – sowohl finanziell als auch aktiv, beim Rebschnitt, bei der Weinlese oder beim Bearbeiten des Bodens. Deshalb bin ich vermutlich auch Bankier* in einer Genossenschaftsbank. Weil in meiner Welt eben Menschen zusammenkommen und miteinander etwas bewirken, und zwar nicht nur virtuell. Der Gedanke liegt mir einfach sehr viel näher.