Kunstmuseum Stuttgart

„Ein Ort der Begegnung und des Austauschs“

Ulrike Groos ist Kunsthistorikerin und Musikwissenschaftlerin und steht nach etlichen Stationen seit 2010 an der Spitze des Kunstmuseums Stuttgart. Dort sorgt sie mit außergewöhnlichen Ausstellungen und Projekten für viel Aufmerksamkeit. 2022 wurde das Kunstmuseum Stuttgart als »Museum des Jahres« ausgezeichnet. Zeitgenössische internationale Künstler:innen zeigen und  dabei die regionale Anbindung im Blick behalten – das ist eine der zentralen Leitlinien ihrer Arbeit als Direktorin. Immer wieder kuratiert sie auch selbst Ausstellungen, aktuell etwa die große Werkschau von Wolfgang Laib.

Frau Groos, warum sollen wir heute noch in Museen gehen? Was für ein Ort ist das Kunstmuseum Stuttgart aus Ihrer Sicht?

In Museen trifft man auf Kunstwerke, die im besten Fall inspirieren, begeistern, auch mal irritieren oder Fragen aufwerfen können. Ich sehe das Kunstmuseum Stuttgart vor allem als Ort der Begegnung und des Austauschs. Mit unseren Ausstellungen hinterfragen wir Bestehendes, reagieren auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, zeigen neue Perspektiven für unser soziales Miteinander auf und sind so immer Teil eines öffentlichen und politischen Diskurses.

Das Kunstmuseum Stuttgart bietet ein umfangreiches wie vielfältiges Vermittlungsprogramm an. Seit einiger Zeit ist das Museum mit seinem mobilen Kunstatelier KuBUS an Stuttgarter Schulen zu Gast – und das Projekt ist schon jetzt eine Erfolgsgeschichte.

Absolut, der KuBUS ist ein ganz entscheidender Baustein zur Erreichung unseres Ziels, kulturelle Bildung für alle zu ermöglichen, also Barrieren und sogenannte Schwellenängste abzubauen. Denn wir beobachten noch immer, dass der Eintritt in die Welt der Kunst und Museen weiterhin stark vom Bildungsstand des familiären Umfelds abhängig ist. Nur in Bildungseinrichtungen wie Schulen können wir als Museum alle Kinder und Jugendlichen nachhaltig erreichen. Projekte wie der KuBUS, die an die Schulen kommen, haben den großen Vorteil, Kinder und Jugendliche in einer ihnen vertrauten Umgebung zu begegnen.

Sie sprechen es an: Ein Museum für alle – inwiefern wird gesellschaftliche Diversität im Kunstmuseum mitgedacht?

Wir möchten mit unseren Ausstellungen und Vermittlungsprogrammen die Gesellschaft widerspiegeln und gesellschaftsbezogene Diskurse abbilden. Das schließt selbstverständlich Diversität mit ein, und zwar auf allen Ebenen: sexuelle Identität, Sprache und Herkunft. Ich bin davon überzeugt, dass das Thema Diversität die Gegenwart und Zukunft von Museen allgemein sein wird, möchten diese auch weiterhin gesellschaftliche Relevanz für sich beanspruchen. Bei der Ausstellung »Sieh Dir die Menschen an!«, die bei uns ab Dezember zu sehen ist, wird Diversität ausgehend von Typenporträts in den 1910er- und 1920er- Jahren im Lichte aktueller Debatten zur Diskriminierungskritik betrachtet.

Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart

Das Kunstmuseum Stuttgart zeigt aktuell eine Ausstellung mit Werken Wolfgang Laibs. Wer ist dieser Künstler?

Wolfgang Laib ist für mich einer der interessantesten und wichtigsten Künstler der Gegenwart – weltweit. Sein Denken und Schaffen stellt seit Ende der 1970er-Jahre Fragen an unser Sein und Handeln als Teil fragiler Lebensräume und könnte darin nicht aktueller sein. Die ausschließlich aus natürlichen Materialien wie Wachs, Marmor und Reis bestehenden, feinsinnigen Werke Laibs entstehen im Austausch mit der Natur und im Einklang mit den Jahreszeiten. Deshalb sind sie heute so gegenwärtig wie 1982, als er Deutschland auf der Biennale Venedig vertrat und an der Documenta 7 teilnahm. Seitdem hat er auf der ganzen Welt ausgestellt, im Museum of Modern Art in New York und im Kunsthaus Bregenz, in Museen in Japan, Korea, Saudi-Arabien und Myanmar. Verdientermaßen wurde er 2015 mit dem Kunstpreis Praemium Imperiale für Skulptur in Tokio ausgezeichnet, der als ›Nobelpreis der Künste‹ gilt.

 

Praemium Imperiale-Preisträger Wolfgang Laib

Ein Weltstar in Stuttgart also – die Ausstellung »The Beginning of Something Else« im Kunstmuseum Stuttgart zu zeigen, ist dann schon etwas Besonderes für Sie?

Ja, das ist es. Wir fühlen uns sehr geehrt, dass – nach früheren Ausstellungen etwa im Haus der Kunst in München und in seinen deutschen Galerien in Berlin und Düsseldorf – das Kunstmuseum Stuttgart nun eine große  Überblicksschau in Deutschland präsentieren kann. Seit ich 2010 ans Kunstmuseum kam, wollte ich mit Wolfgang Laib eine Ausstellung machen – jetzt hat es geklappt. Die Präsentation selbst ist in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstanden, und die Auswahl und Platzierung der einzelnen Werke erfolgte unter besonderer  Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten der Museumsarchitektur. Denn: ihr volles Potenzial entfalten  Laibs Arbeiten erst im wechselseitigen Austausch und Zusammenspiel mit den Orten und Räumen, in denen sie gezeigt werden. Verteilt über die drei Ebenen des Kubus sind sie in ihrer visuellen Vielfalt verschieden, bilden ihrem  Wesen nach jedoch zusammen eine Einheit, ein harmonisches Gesamtkunstwerk.

Die Volksbank Stuttgart ist einer der großen Sponsoren der Ausstellung. Wie wichtig ist Ihnen diese Zusammenarbeit?

In der Tat: sehr wichtig, wie Sponsoren allgemein für unsere Arbeit zunehmend wichtiger werden. Viele  Ausstellungs- und auch andere Projekte in der Vergangenheit – erinnert sei an das große Bürgerfest zu unserem 10- jährigen Jubiläum 2015 – wären ohne die großzügige Unterstützung der Volksbank Stuttgart nicht realisierbar  gewesen. Sie ist ein zuverlässiger und angenehmer Kooperationspartner an der Seite des Kunstmuseums Stuttgart.  Kontinuität ist leider zu einer Seltenheit geworden, aber nur Kontinuität ermöglicht uns eine langfristige und sichere Planung.

 

Können Sie einen Ausblick geben, was uns in nächster Zeit im Kunstmuseum Stuttgart erwartet?

Im Oktober eröffnen wir eine weitere Ausgabe unserer Reihe junger Kunst »Frischzelle« mit der Künstlerin Simone  Eisele sowie eine Ausstellung zum Werk des Stuttgarter Bildhauers Otto Herbert Hajek, die auch den Kleinen Schlossplatz hinter dem Museum miteinbezieht. Zum Ende des Jahres folgt die bereits erwähnte Schau »Sieh Dir die Menschen!«, in deren Mittelpunkt das neusachliche Typenporträt im historischen Kontext der Weimarer Zeit (1918–1933) steht – die zugleich jedoch einen Bogen zur Gegenwartskunst schlägt. Wir freuen uns auf Sie!